Nachhaltigkeit vs. Profit: der ungerechte Kampf

Einer der Begriffe, der praktisch jeden Tag irgendwo in den Medien fällt, ist Nachhaltigkeit. In allen Lebensbereichen werden wir damit konfrontiert, rücksichtsvoller mit Ressourcen umzugehen. Auf der anderen Seite bedrängt uns die profitorientierte Industrie, mehr zu konsumieren.
Eine persönliche Auseinandersetzung.

Was Nachhaltigkeit bedeutet

Der Begriff Nachhaltigkeit erscheint mir sehr abstrakt. Nehme ich das Wort wörtlich, dann erschließt sich mir dessen Bedeutung nicht. Etwas nachhalten, was heißt das? Und wie ist man nachhaltig? Wikipedia verweist auf die englische Ensprechung „sustainable“. Übersetzt bedeutet das „aushaltbar“ oder „erträglich“:

Die beteiligten Systeme können ein bestimmtes Maß an Ressourcennutzung „dauerhaft aushalten“, ohne Schaden zu nehmen.

Wikipedia

Der etwas abstrakte Begriff wird für mich dadurch auch für andere erklärbar.

Es fängt ja meist im Kleinen an. Allerhand Geräte versuche ich, bis zum technischen Kollaps zu benutzen. Das hat zur Konsequenz, dass in unserem Haushalt selten die neuesten Gadgets zu finden sind. Aus meinem Berufsleben als IT-Dienstleister schwappt die Maxime ins Private: Never change a running system. Was funktioniert, wird nicht geändert. Also Finger weg! Das spart oft Ärger, denn meistens gehen die Probleme los, wenn man an der digitalen Heizungseinstellung dreht oder im Menü des Fernsehgeräts rumpfuscht. In der unüberschaubaren Menge an Einstellungen tippt man schnell mal auf halb verstandene Werte. Wird schon passen. Und morgens ist die Bude kalt.

Die Zahnbürste: Nachhaltigkeit für die Mülltonne

Im Vergleich zum TV-Gerät bietet eine elektrische Zahnbürste keine wahnsinnig hohe Anzahl an Konfigurationsmöglichkeiten. Neben „an“ und „aus“ kann ich noch wählen zwischen etwa fünf Intensitätsstufen, das war es dann. Besonders feinfühlige Zeitgenossen mögen zwischen diesen Stufen wohltuende Nuancen feststellen, meine Empfindsamkeit hinsichtlich höherer Reinheit meiner Zähne hat hier ihre Grenzen, trotz Hochsensibilität.

So vermutete ich nicht, dass dieses aus meiner Sicht recht robuste und gar nicht so billige Gerät schon nach drei Jahren (exakt: Garantie abgelaufen) seinen Geist aufgab. Im Detail: Der Dorn, auf den man den Bürstenkopf steckt, wackelt im ausgeschalteten Zustand wie ein Grashalm im Wind, und beim Zähneputzen selbst drängt sich mir das Gefühl auf, einen Winkelschleifer in der Hand zu halten. Das beschreibt zum Glück weniger das Werk des Geräts im Mund als vielmehr die beachtlichen Vibrationen und die damit einhergehende Geräuschkulisse.

Elektronikschrott

Also pilgerten wir zum Elektronikhändler unseres Vertrauens, bei dem die Bürste erstanden wurde. Auf die Frage hin, ob das Gerät repariert werden könnte, lächelte der Mitarbeiter bloß bedauernd. Eine Reparatur sei trotz des hohen Anschaffungspreises nicht wirtschaftlich und voraussichtlich technisch nicht einmal möglich. Schließlich gibt es am Gehäuse nicht mal eine Schraube, um es problemlos zu öffnen. Einzige Lösung: ein neues Gerät kaufen. Wir sollen also ein nicht mal vier Jahre altes, recht simples Gerät wegwerfen, inklusive Induktionsladebecher, Reiseetui etc., weil eine Reparatur nicht lohnt.

Jetzt mal die ganzen Aspekte hinsichtlich Moneten beiseite lassend: Habt ihr sie noch alle? In dem unscheinbaren Gehäuse stecken Materialien, die aufwändig irgendwo zusammengekratzt, um die halbe Welt gefahren und von wer weiß wem zusammengesetzt wurden. Mit Nachhaltigkeit hat es wenig zu tun, wenn ich das Ding innerhalb so kurzer Zeit in die Tonne auf dem Wertstoffhof kloppe und noch hoffen muss, dass jemand das wieder auseinandernimmt, um neue Zahnbürsten draus zu bauen. Nachhaltigkeit – Fehlanzeige!

Das Smartphone: Nachhaltigkeit für die Schublade

Noch ein Beispiel: Smartphones stehen für mich als Sinnbild unserer werbegetriebenen, konsumgeilen Wegwerfgesellschaft an erster Stelle. Geh doch mal durch die nächstgelegene Stadt und achte darauf, wann dir das erste Werbeplakat das neueste Smartphone aufschwatzen will. Woher kommt dieser Drang, stets das neueste Gerät in der Tasche zu haben, auch wenn es im Vergleich zum Vorgängermodell nur marginale Verbesserungen enthält?

Ich mache es besser, dachte ich. Von Beginn an habe ich immer gewartet, bis diese digitalen Allzweckwaffen definitiv nicht mehr zu gebrauchen waren. Mal hielt der Akku, natürlich inzwischen fest verbaut und nicht austauschbar, nur noch eine Stunde, mal gab es keine Software-Updates fürs Betriebssystem mehr. Dann musste ein neues Gerät her.

Anfang 2016 kaufte ich mein erstes FairPhone. Das niederländische Unternehmen schreibt sich Nachhaltigkeit ganz groß auf die Fahnen. Der gewählte Weg ist steinig. Fair gehandelte Rohstoffe aus unbedenklichen Quellen zu beschaffen, Lieferketten transparent offenzulegen und Arbeitsstätten mit anständigen Arbeitsbedingungen zu finden, das sind nach eigenen Aussagen riesige Aufgaben. Das hat nicht von Anfang an reibungslos funktioniert, und auch heute noch kämpft das Unternehmen darum, in allen diesen Belangen besser zu werden.

Das zweite große Anliegen der Holländer ist es, ein reparierbares, langlebiges Telefon auf den Markt zu bringen und so für Nachhaltigkeit zu sorgen. Und in der Tat kann dieses, je nach Modell, in mehrere Teile zerlegt und selbige ausgetauscht werden. Kamera, Akku, Display und weitere Module kann der Endanwender selbst ersetzen. Tatsächlich habe ich aber nur einmal den Akku erneuern müssen.

Anfang 2023 war nach sieben Jahren dann aber doch Schluss mit dem ersten FairPhone: Auch hier hatte der Support fürs Betriebssystem geendet, und ich griff widerwillig zum FairPhone 4, dem aktuellsten Modell, dachte ich. Bis im August das FairPhone 5 erschien. Kurz ärgerte ich mich, zunächst über mich, weil ich nicht gewartet hatte, dann über die Firma: Wieso machen sie es denn genauso wie die großen Player und schmeißen im Zweijahresturnus das nächste Modell auf den Markt? Klar, die wollen und müssen Geld verdienen.

Inzwischen habe ich für all das nur noch ein Schulterzucken übrig. Das Smartphone tut, was es soll, wird noch mehrere Jahre mit Updates versorgt und kann von mir repariert werden. Es ist das kleinste Übel in diesem grauenhaften Elektronikmarkt. Übrigens gibt es inzwischen weitere Hersteller nachhaltiger Smartphones, die sich gegen die Platzhirsche aber genauso schwertun.

Side-Note: Nein, auch die Großen bieten keine langlebigen Geräte. Ich habe aus beruflichen Gründen ein Tablet und einen Mini-Rechner mit einem Apfel drauf. Beide performen nur noch so lala, und Software-Updates erhalten sie praktisch nicht mehr.

Nachhaltigkeit: Die tägliche Herausforderung

Die Zahnbürste und das Smartphone sind nur zwei Beispiele für die Challenge, vor die uns die Industrie täglich stellt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Autos, Mode, Schuhe, Lebensmittel … Von allen Seiten wird man bombardiert mit Werbung für das neueste Ding, den letzten Schrei, das ultimative Must-Have. Die Widerstandsfähigkeit ist unter uns Menschen unterschiedlich verteilt. Kein Wunder also, dass der Absatz nicht versiegt.

Manch einer benötigt nicht einmal die omnipräsenten bunten Trigger von Plakaten oder Bildschirmen. Das Kaufen neuer Dinge dient der Belohnung. Das Gefühl kennen vermutlich viele Menschen: „Ich arbeite so hart, das muss sich doch lohnen. Wofür mach ich das denn?“ Die beim Kauf erfahrene Befriedigung währt oft nicht lang und macht einer gewissen Leere Platz und der Frage: „Brauchte ich das wirklich?“ Hin zum pathologischen Zwang zum Kaufen, der Oniomanie, sind die Grenzen wahrscheinlich fließend.

So weit will ich hier gar nicht gehen. Problematisch ist die Vielzahl an Konsumenten, die ohne nachzudenken zugreifen. Das Angebot ist da, warum denn nicht? Und wenn ich es nicht kaufe, dann tut es ein anderer.

Zufriedenheit

Ein schwieriges Thema, mit dem sich andernorts Wissenschaftler, Ökonomen, Ärzte (und Bloggerinnen wie Die Buchleserin – liebe Grüße!) beschäftigen und das für meinen Blog vielleicht ein bisschen zu groß und komplex ist. Deshalb kann ich nur von mir kleinem Hanswurst berichten.

Irgendwie brauche ich das nicht mehr, den Kick beim Kauf, die neueste Technik, den Urlaub mit dem Flieger oder Erdbeeren im Winter. Das mag daran liegen, dass ich das Privileg genoss, vieles davon schon gehabt und getan zu haben. Gedanken- und Ahnungslosigkeit spielten da gewiss ebenfalls eine Rolle. Dann ist es vielleicht auch zu einfach, anderen den Spiegel vorzuhalten und Nachhaltigkeit zu predigen.

Um es ganz klar zu sagen: Ich bin ein Stückweit jenseits des Punkts, an dem mich das rücksichtlose Verhalten meiner Artgenossen so auf die Palme bringt, dass ich ihnen die Leviten lesen möchte. Dazu gehört ein gutes Pfund Fatalismus, denn schon eine Weile würde ich keinen Cent mehr drauf wetten, dass dem Homo sapiens ein sehr langes Kapitel in der Erdgeschichte gewidmet sein wird.

Und wie soll das gehen?

Trotzdem hier noch eine kleine Liste von Dingen, die im alltäglichen Leben nicht so schwer umzusetzen sind:

Marktstand mit Taschen auf einem regionalen Markt in der Provence
Marktstand mit Taschen und Körben auf einem regionalen Markt
  • Kauft saisonale Lebensmittel von regionalen Anbietern. Gibt es nicht? Doch, einfach mal suchen. Wo auch immer ich herumfahre, stolpere ich über Hofläden und Bauernmärkte, Getreidemühlen mit Ladenverkauf, Hühnerfarmen mit Eierautomaten. Selbst kleinere Städte und Dörfer haben einen Wochenmarkt, auf dem sich die Landwirte über euren Einkauf freuen. Und oft sind die Produkte dort nicht einmal teurer als im Supermarkt.
  • Kauft wertige Geräte und Kleidung, auch wenn sie auf den ersten Blick teurer sind und ihr dafür ein bisschen sparen müsst. Am Ende sind diese Dinge günstiger weil langlebiger. Auch wenn Terry Pratchett dieses Quasi-Gesetz in Sam Vimes Boots theory köstlich zusammengefasst hat, ist der Grundgedanke dahinter schon älter und jedem bekannt: Wer billig kauft, kauft zweimal.
  • Macht mal Urlaub in der Nähe. Ich wohne hier schon eine Weile und bin immer wieder verblüfft, was es alles zu entdecken gibt. Das Ding da in eurer Hand, das Smartphone, hilft euch bei der Suche.
  • Die Bahn ist besser als ihr Ruf, und mit dem 49-Euro-Ticket wird das Erkunden der Region vor der Haustür wieder erschwinglich. Und auch hier kann die Fahrt selbst schon Teil des Abenteuers sein.
  • Bringt Sachen, die ihr nicht mehr braucht, zurück in den Kreislauf. Damit meine ich nicht nur, euren Müll zu trennen und ihn schon gar nicht in die Pampa zu schmeißen. Elektrogeräte könnt ihr bei Händlern abgeben, auch bei Onlinehändlern, und natürlich gibt es dafür Sammelstellen. Eure Klamotten gehören in den Second-Hand-Laden oder die Kleiderspende, alte Bücher in den Tauschschrank. Diese Tausch-Locations gibt es in immer mehr Orten, und nicht nur für Bücher.
  • Wenn der ganze Kram noch etwas taugt und euch die Mühe nicht zuviel ist, lässt sich selbst Unscheinbares noch zu Geld machen. Ihr müsst dafür nicht zu Horst Lichter rennen. Für alles Mögliche gibt es Tauschbörsen und eine Menge Leute, die die abgefahrensten Sachen sammeln und/oder weiterverwerten.

Warum sollte ich das machen, die anderen …

Hör auf damit! Die anderen spielen keine Rolle. Fang bei dir an.

Dieses bekloppte Argument, dass meine Anstrengungen ja nichts bringen, wenn alle anderen weitermachen wie bisher, ist nur eine faule Ausrede. Das gilt für arglos gekaufte und wieder weggeworfene Klamotten im Kleinen wie für den Quatsch mit den „nur“ deutschen 2 Prozent-Anteil am globalen CO2-Ausstoß im Großen. Zurücklehnen und auf die anderen zeigen ist einfach nicht mehr angesagt.

Abgesehen davon, dass ihr eure Bude nicht mehr mit unnötigem Ballast bestückt, tut ihr erstens der Umwelt etwas Gutes, indem ihr Nachhaltigkeit wie oben beschrieben zelebriert. Zweitens: Fürs neue Handy muss nicht noch mehr Erz von schlecht bezahlten Menschen aus dem Boden gekratzt und von genauso schlecht bezahlten Menschen verarbeitet werden.

Und sieh das nicht so dogmatisch. Man muss nicht gleich seinen kompletten Lebenswandel in Frage stellen. Kleine Schritte bringen uns ans Ziel. Wir müssen Sie nur gemeinsam gehen.


P.S.: Das alte Radio im Beitragsbild habe ich Anfang der Achtziger von meinem Taschengeld beim lokalen Elektronikhändler gekauft. Es hat mit mir einen Radunfall überlebt, ich habe es mehrfach geöffnet und wieder zusammengeschraubt, die internen Mikros zu externen gemacht, 50.000 Kilometer Band mit Musik bespielt … und es funktioniert heute noch.