Das Neue Testament in Form einer Taschenbuchausgabe neben einem gelben Fächer

Begegnungen: die Essenz meiner Geschichten

Zurück aus dem Urlaub: Während ich die auf verschiedenen Geräten aufgenommenen Fotos sichere, begegnen mir vor dem inneren Auge all die Menschen wieder, mit denen wir ins Gespräch gekommen sind. Ohne diese Begegnungen wäre die Auszeit eine Aneinanderreihung von schönen Bildern und irgendwann eine Erinnerung. Die Erzählungen der Menschen, ihre Berichte aus dem Privaten, ihre Erfahrungen, die oft tief ins Eingemachte gehen, hallen in mir nach.

Aber es sind auch die kleinen Ausschnitte aus Dialogen, die im Vorbeigehen aufgeschnappten Gesprächsfetzen, die aus einer Woche außerhalb der heimischen vier Wände ein Gesamtkunstwerk kreieren, das ich immer wieder gern betrachte. Und es liefert mir ein kunterbuntes Sammelsurium an Emotionalem, Witzigem, Nachdenklichem, aus dem ich für meine Geschichten schöpfen kann.

Halbinsel von Wasserburg mit der Kirche St. Georg
Halbinsel von Wasserburg mit der Kirche St. Georg

Die eine Woche am Bodensee kommt mir vor wie zwei. An jedem Morgen dieser sieben unsäglich heißen Tage sind wir früh aus den glühenden Federn gekrabbelt und ins kühlende Nass des Sees gesprungen. Die Bilder dieser einzigartigen Momente sind nur in unseren Köpfen. Zum einen hatten wir zu der Tageszeit nur das Nötigste bei uns. Zum anderen ließen sich die Eindrücke gar nicht auf Fotos bannen, geschweige denn wiedergeben. Das grandiose Finale erhielt diese Bilderserie an einem weiterhin warmen Abend, als wir auf dem leicht schwankenden SUP saßen. Mit den Beinen im Wasser verfolgten wir, wie über der Kirche St. Georg auf der Wasserburger Halbinsel die orange glühende Sonne unterging. Unbezahlbar.

Erste Begegnungen am Morgen

An diesem schönen Flecken Erde (und im Wasser) wurden wir an den ersten Tagen von den einheimischen Frühschwimmern beäugt wie alle anderen Feriengäste. Höflich distanziert wünschten wir uns gegenseitig einen guten Morgen und verabschiedeten uns mit ebensolchen Wünschen für den weiteren Tag.

Es dauerte nur zwei Tage, bevor wir mit einer älteren Dame ins Gespräch kamen. Wie uns das gelingt, weiß ich selten zu sagen. Mir wird nachgesagt, eher der stille, zurückhaltende Typ zu sein. In manchen Situationen jedoch passen die wichtigen Parameter zusammen. Dann gerate auch ich mit mir fremden Menschen mir nichts dir nichts ins Plaudern…

Okay, meine Frau zieht gerade eine Augenbraue und einen Mundwinkel schmunzelnd hoch. Sie ist von uns die Kontaktfreudige und geht ohne Vorbehalte auf die Menschen zu. In diesem Fahrwasser fühle auch ich mich wohl.

Die oben genannte Dame musste sich vor einigen Jahren zwischen dem Allgäu und dem Bodensee entscheiden. Ihre Wahl fiel auf Letzteren. Die Frage, ob sie diese Entscheidung für ihren jetzigen Wohnort jemals bereut hätte, beantwortete sie zunächst mit einem Lächeln. Sie fügte hinzu, dass man eine einmal getroffene Wahl nicht weiter in Zweifel ziehen sollte. Es sei schön so, wie es ist.

Der Unterschied zwischen Frauen und Männern

Später am Tag. Man kann sich die Ohren einfach nicht zuhalten. Zwischen anderen Badegästen und Sonnenanbetern auf einer Liegewiese schnappt man zwangsläufig Gespräche auf.

Wie auch das zwischen einem Papa und seiner Tochter. Diese fragte ihn geradeheraus, warum er und auch ihr Bruder einen „Schniedel“ [sic] hätten und sie nicht. Uns zauberte nicht nur ihre Offenheit ein Grinsen ins Gesicht. Die Engelsgeduld und die Sachlichkeit, mit der der Papa die Begründungen lieferte, nötigt mir auch jetzt noch Respekt ab. Wir honorierten die Erfüllung seines Auftrags zur Aufklärung mit einem Lächeln, das er schulterzuckend erwiderte.

Die Begegnungen mit den eigenen Problemen

Die Themen gehen mitunter auch tiefer. Ohne es vorher zu ahnen, gerieten wir mit einem Paar ins Gespräch, das die freie Zeit dazu nutzte, die derzeitige persönliche Situation zu beleuchten, die durch Arbeit und familiäre Belastungen geprägt schien. Zuhören war angesagt und vorsichtige Ratschläge, zunächst zur objektiveren Betrachtung der Ursachen, bevor man sich an Lösungen wagte.

Die Schilderung der Probleme uns als Fremden gegenüber hat den beiden aus meiner Sicht schon ein Stück weit geholfen. Mir hat der Austausch mit ihnen einmal mehr gezeigt, wie vielfältig und kompliziert die emotionalen Gefilde zwischen den Menschen beschaffen sein können. Und dass jedes Problem es verdient, gehört und behandelt zu werden.

Begegnung mit der Endlichkeit

Manchmal müssen Dinge aber auch nicht angesprochen werden. Der Austausch mit anderen, auch über Generationen hinweg, ist wichtig für das gegenseitige Verständnis, da reicht hin und wieder das Zuhören. Und das kann einem unvermittelt und unerbittlich den Spiegel vorhalten.

Eine Bank mit hölzerner Sitzfläche und einer dunkelgrünen Rückenlehne aus metallenen Ornamenten

Auf einer Bank an der Kaimauer begegneten wir einmal mehr einem älteren Ehepaar, das im gleichen Gästehaus wie wir übernachtete. Die anfängliche Distanz hatte besonders meine Frau schon ein paar Tage vorher durch ein unverfängliches Gespräch hinweggefegt. So fanden wir uns unverhofft an diesem Abend bei Sonnenuntergang zu viert auf jener Bank wieder und schon bald ins Gespräch vertieft. Es ging um ihre Heimat inmitten Deutschlands, wo es auch schöne Seen gäbe, das bisweilen raue Klima dort, und die beiden teilten ihre Sorge hinsichtlich des Klimawandels mit. Es ist entweder ein ungeschriebenes Gesetz, dass man eher mit Gleichgesinnten ins Gespräch kommt, oder der Zufall hat uns nebeneinander auf diese Bank gesetzt.

Im weiteren Verlauf unserer Zusammenkunft fiel uns die eine oder andere Wiederholung von Aussagen der beiden auf, die uns im Nachhinein alarmierte. Wir haben das im Gespräch mit anderen älteren Menschen schon mehrmals erlebt. Ich will hier keine Diagnose hinschreiben, das steht mir nicht zu. Fachkundigere werden wissen, worauf ich hindeute.

Bei uns blieb neben der schönen Erinnerung an diese beiden wunderbaren zurückhaltenden Menschen eine gewisse Wehmut zurück. Erinnerungen verblassen, und irgendwann ist der Platz neben dir auf der Bank leer.

Begegnungen mit der Bibel

Wie überwältigend eine Begegnung sein kann, erfuhren wir an einem der letzten Tage beim zweiten Besuch der Insel Lindau. Am Vortag hätten wir uns beinahe wonnig durch das leckere Tortenangebot des Theater-Cafés gefräst. Wir konnten uns nur zurückhalten mit der Absicht, dem Café einen zweiten Besuch abzustatten.

Platz für Begegnungen: Theater-Café in Lindau
Platz für Begegnungen: Theater-Café in Lindau

Im Schatten eines Sonnenschirms ließ es sich gut aushalten. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis – wer hätte es gedacht – meine Frau sich mit einer von fünf Damen am Nachbartisch unterhielt. Sie wedelte sich mit einem gelben Fächer Luft zu, und nur eine Minute später hatte dieser die Besitzerin gewechselt. Wir waren komplett überrascht, und die Dame tat das Geschenk mit dem Hinweis darauf ab, dass sie ohnehin noch weitere Fächer besaß.

Nach einigem weiteren Hin und Her entpuppte sich die illustre Runde als Gruppe von Angehörigen des Gideonbunds. Dieser hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen das Neue Testament wieder näherzubringen. Urplötzlich hielt meine Frau eine hosentaschentaugliche Ausgabe in den Händen, und eine der Frauen lieferte neben den Motivationen des Bundes noch Erläuterungen zum Gebrauch des kleinen Büchleins.

Nun sind weder meine Frau noch ich in irgendeiner Weise religiös und stehen Glaubensgemeinschaften im Allgemeinen eher skeptisch gegenüber. In jenem Moment ließen wir uns jedoch ohne Weiteres von der positiven Energie anstecken, die da am Nachbartisch gelebt wurde. Und da war wieder diese vage Ahnung, dass für bestimmte Begegnungen doch jemand verantwortlich sein mag.

Als wir vorm Abschied noch dazu kamen, von unserer Herkunft zu erzählen und dass wir die Deutsche Wiedervereinigung buchstäblich lebten, kam heraus, dass eine der Damen meinen Heimatort kannte. Sie sei dort mit dem Rad direkt unterhalb der Ruine Brandenburg auf thüringischer Seite liegengeblieben und hätte eine Fahrradwerkstatt im benachbarten hessischen Herleshausen gefunden, zu der sie ein freundlicher Mensch auch noch hingefahren hat. So konnten wir nicht umhin, von meinem Thüringen-Krimi „Ohne Grenzen“ zu erzählen. Am Ende waren sowohl die Damen als auch wir von unserer Begegnung im positiven Sinne völlig geplättet und sind, voneinander bereichert, auseinandergegangen.

Der geschenkte Tag

Eine weitere Begegnung, die eher auch als Aufschnappen eines Gesprächs durchgeht, fasst meine Gefühle und Erinnerungen an die letzten Tage und die Begegnungen so treffend zusammen, dass ich sie an den Schluss setze.

Morgens trafen sich an der oben beschriebenen Badestelle stets zwei ältere Paare, vermutlich zum Teil schon in Rente. Sie paddelten jeweils zu zweit mit einem SUP hinaus aufs Wasser und ließen sich dort mit den Beinen im Wasser die Morgensonne auf den Rücken scheinen. Dabei plauderten sie, teilweise recht lautstark und dadurch gut hörbar, über dies und das. An einem Morgen begrüßte einer der Herren die Neuankömmlinge mit den Worten:

Ach wie schön, oder? Wieder ein geschenkter Tag!

Wie recht er hat. Die Tage werden uns einfach so geschenkt. Wir müssen dazu nur morgens die Augen wieder öffnen, dann liegt der Tag vor uns mit all seinen Möglichkeiten. Und offen für neue Begegnungen.

4 Kommentare

  • Hallo lieber Stefan,

    was für schöne Wetteraus Sichten 😉 Ich mag deine Art zu schreiben, zu erzählen und den Leser auf positive Art und Weise zu entführen. Vielen Dank dafür.

    Ja und was für ein toller Post. Welch herrliche Begegnungen, mal lustig, mal ernst, mal nachdenklich und einmal fast schon christlich. Als ein sehr realdenkender Mensch und jemand, der dem Glauben doch zugetan ist, sage ich ganz offen, dass so manche Begegnung mehr wert als eine Predigt sein kann!

    Ich finde es schön, wie ihr euren Urlaub lebt und wie ihr durch die Welt geht. Mit anderen ins Gesprächen kommen, sich von ihnen anstecken lassen oder sie selbst mitnehmen, all das macht das Leben aus.

    Vielen Dank, dass ich für einen kurzen Moment dabei sein durfte!

    Liebe Grüße
    Giannis

    P.S. Schön, dass man diesen Artikel kommentieren darf und kann! Danke dafür!

    • Lieber Giannis,

      Danke, dass du hier vorbeigeschaut und meinen Text gelesen hast. Es freut mich zu lesen, dass es da draußen Gleichgesinnte gibt.

      Ja, und auch dies hier sind schöne Begegnungen, auch wenn sie nicht auf persönlicher Ebene stattfinden. Der Austausch mit dir ist für mich ebenfalls sehr wertvoll.

      Liebe Grüße, Stefan

      • Lieber Stefan,

        vielen Dank für deine lieben Worte und die so herzliche Antwort! Ich kann das Kompliment zu unserem Austausch nur erwidern und mit Freude an dich zurückgeben.

        Und die persönliche Ebene! Für mich ist sie schon da! Auch wenn man manchen Bloggern und Menschen nicht direkt in die Augen schaut, so vermag doch in ihre Seelen und Herzen zu blicken!

        Einen schönen Sonntag!

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