Es ist zu laut
Konzentration: Noch einmal genau hinhören! Fällt Ihnen was auf, abgesehen vom Ticken der Uhr? Ich liste mal schnell das auf, was ich gerade höre, während ich diese Zeilen an meinem PC im Büro bei offenem Fenster tippe, völlig wertfrei:
- nebenan wird ein Haus renoviert, es laufen verschiedene Geräte, darunter ein Bohrhammer
- ein paar Vögel versuchen sich dagegen mit Gezwitscher zu behaupten
- das Klappern der Tastatur
- auf dem Spielplatz sitzen ein paar Muttis und quatschen, …
- während ihre Kinder spielen und hin und wieder plappern
- eine Krähe
- etwas entfernt fährt ein Auto vorbei
- irgendwas brummt
Diese Geräuschkulisse ist völlig in Ordnung, mal abgesehen von den Renovierungsarbeiten. In anderen Büros mögen die Telefonate von Kollegen, laufende Drucker, Verkehrslärm und andere Quellen das Befinden negativ beeinflussen.
Bis vor wenigen Tagen war ich im Urlaub an der Ostsee auf dem Darß. Wir hatten ein kleines Häuschen gemietet und waren dort komplett für uns, nachts schliefen wir bei offenem Fenster. An einem Abend, nach dem Ausschalten des Lichts, fragte mich meine Frau: „Hörst du das?“ Ich stellte die Lauscher auf, horchte angestrengt und gab zurück: „Nein, ich höre nichts.“ Und sie: „Eben.“
Vor bestimmt acht Jahren erlebten wir ein einziges Mal die eben beschriebene Situation in einer Sommernacht bei offenem Fenster bei uns zuhause. Wir wohnen etwa zwei Kilometer von der stark befahrenen A81 entfernt, um deren längst überfälligen Lärmschutz schon seit Jahrzehnten gerungen wird. Bei Ostwind ist das Rauschen und Brummen der Fahrzeuge an einzelnen Tagen auf der Terrasse so unangenehm, dass wir ins Haus flüchten. In jener Nacht jedoch war rein gar nichts zu hören, seitdem kam das nicht mehr vor.
Akustisches Dauerfeuer
Fakt für mich ist: Die Welt ist in den letzten Jahren lauter geworden, und die Anzahl unterschiedlicher Lärmquellen hat sich vervielfacht. Beispiele gefällig?
Neben unserem Grundstück befindet sich ein Spielplatz, der nicht nur von Familien mit Kindern zu üblichen Zeiten besucht wird, sondern auch von – sorry – pubertierenden Rotzgören, die schon beim obercoolen Anrücken deutlich machen, dass es nicht primär ums Schaukeln geht. Die Soundbar plärrt Hip Hop und R’n’B in voller Lautstärke, auch sonntags, auch kurz vor Mitternacht, während weitschweifig die für die Altersgruppe typischen Probleme gewälzt werden. Natürlich muss dabei der Bluetooth-Ghettoblaster übertönt werden, leiser drehen wäre vermutlich zu einfach, weil sonst das Schreitraining zu kurz käme.
Und die Musik ist überall: An der Bushaltestelle vor dem Spielplatz sitzen die verhinderten DJ-Trullas mit ihren Smartphones, völlig austauschbare Songs dringen wummernd aus Subwoofern vorbeifahrender Autos, Musik sickert aus Deckenlautsprechern im Supermarkt, beim Shopping, selbst in Fußgängerzonen ist man vor willkürlicher Permanentbeschallung nicht sicher. Gestern beim Mittagessen trat einmal mehr ein Straßenmusiker auf den gut besuchten Wettbachplatz und gab sein von der Akustikgitarre begleitetes Repertoire an 60er-Jahre-Gassenhauern zum Besten, während ich meinen Salat mampfte.
Mir geht das auf den Keks. Das Ohr ist das einzige Sinnesorgan, das den ihm zugedachten Reizen nicht entzogen werden kann. Daher möchte ich selbst bestimmen, welchem dieser Reize ich mich aussetze. Ich renne ja auch nicht mit einem Tablet voller Urlaubsbilder durch den Biergarten oder die Shopping-Mall und zwinge jeden Anwesenden dazu, sich diese anzusehen.
Dieses akustische Dauerfeuer hat mittlerweile dazu geführt, dass ich kaum noch Musik höre. Welchen Stil ich gerade bevorzuge, ist ohnehin stark stimmungsabhängig, so dass das Radio schon seit Jahren nicht mehr relevant ist. Meine MP3-Sammlung gäbe für jede dieser Stimmungen das passende Genre her, allerdings suche ich, wenn sich die Gelegenheit bietet, eher die Ruhe oder das Gespräch mit Gleichgesinnten. Selbst im Auto bleibt das Radio meistens aus.
Blablabla: Viel Gerede, wenig Gesagtes
Was mir zunehmend passiert: Ich trotte durch den Supermarkt (wahlweise über den Marktplatz oder einen anderen von Menschen belebten Ort) und gehe an einer beliebigen Person vorbei, die dann plötzlich jemand anderem, der am entgegengesetzten Ende des Ganges steht, etwas zubrüllt, völlig egal, dass ich als Nächststehender die volle Dröhnung abbekomme. In dieselbe Richtung geht das unsägliche „Mama, Mama, Mama, Mama, …“ von Kindern, deren Mütter entweder nicht mal in Sichtweite sind oder in stoischer Gelassenheit das sich wie eine alte Schallplatte wiederholende Nörgeln des Nachwuchses zu ignorieren wissen.
Allzu oft begegne ich Menschen, denen es gelingt, den ganzen Abend von sich und ihren Erlebnissen zu berichten, ohne eine einzige Frage an mich zu richten oder auf meine Einwürfe einzugehen. Sie schwelgen in ausladenden Beschreibungen ihres Alltags und schmücken jedes Detail so aus, als ob es nichts Wichtigeres gäbe als ihre eigene Welt. Jede akustische Lücke wird mit Phrasen gefüllt. Und ich rede hier von banalen Inhalten wie den Mahlzeiten, dem Weg zur Arbeit oder dem, was die Kollegen angeblich gesagt oder getan haben.
Dagegen liebe ich Menschen, die pointiert und gleichermaßen facettenreich erzählen, die zuhören, nachfragen und ehrliches Interesse zeigen. Denen auch ein paar Minuten Schweigen nicht peinlich sind, weil man schließlich noch seinen Salat vertilgen möchte.
Inseln der Ruhe
Mag sein, dass all das nach Intoleranz klingt, aber Toleranzen haben eben auch ein oberes Ende. Ich leide deshalb nicht an Hyperakusis. Es ist wohl aber für viele nachvollziehbar, dass man sich in stressigen Zeiten eher von Lärm und Lautstärke beeinträchtigt fühlt.
Wünschen möchte ich mir nur, dass diese Entwicklung nicht exponentiell so weitergeht, dass die Welt an vielen Orten nicht im Lärm versinkt und die Menschen krank macht. Ich hoffe, dass es auch in Zukunft viele Inseln der Ruhe gibt, auch metaphorische, auf denen die einzigen Geräusche die Brandung, der Wind, das Vogelgezwitscher oder auch nur der eigene Atem und das Klopfen des Herzens sind.
P.S.: Der Titel des Beitrags ist dem Song „Schade, schade, schade“ der Rodgau Monotones entlehnt:
Ich geh nie mehr zu Uriah Heep
Denn danach machen meine Öhrchen immer piep
Es ist zu laut, einfach zu laut
Mein Ohrenarzt hat sich ein Haus gebaut, es ist zu laut
Ein Problem in Zeiten der digitalen Nachbearbeitung ist auch, dass beim Abmischen von Songs oft ein anderes Ziel als Klangqualität verfolgt wird.
Um aus dem Meer uns umgebender Geräusche herauszustechen wird versucht Songs LAUTER klingen zu lassen, als wir die Musik eingestellt haben.
Durch bestimmte Kompressionstricks lässt sich unser Hirn täuschen und nimmt Geräusche einer eingestellten Dezibelzahl dennoch als lauter war. Bei ein zwei Songs lässt sich das tolerieren, dass es aber zur Regel geworden ist nervt.
Quelle: http://www.chicagomasteringservice.com/loudness.html
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