Zuversicht in der Zeit der Monster
Ein Musterbeispiel an Zuversicht und Optimismus bin ich selten, dazu verfalle ich als Hochsensibler allzu oft ins tiefere Nachdenken und Hinterfragen. Und momentan fällt es mir besonders schwer, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Nicht meine persönliche Zukunft, da besteht wenig Anlass zur Sorge. Es geht ums Große, ums Ganze.
Leicht ist es und verständlich, beim täglichen Doom-Scrolling die Hoffnung fahren zu lassen. Selbst die eigene Bubble wird unbequem, wenn dort die liebgewonnenen Kanäle und Freunde sich über die neuesten Auswüchse von Faschisten, Klimawandelleugnern und Verschwörungstheoretikern aufregen. Was dort täglich, ach was, im Minutentakt zutage gefördert wird, ist zum Teil unbeschreiblich. Ich will das hier gar nicht wiedergeben, es triggert mich bloß und verschafft diesem hirnverbrannten Quatsch womöglich noch Reichweite.
Ein Rückblick zur Bestätigung
Beim Durchpflügen des Internets, durch Nachrichten und Wahlprognosen, Social Media, Foren und Blogs, stellt sich rasch dieses Gefühl ein, dass die Gesellschaft dem Niedergang geweiht ist. Geistiger Unrat, der früher in Kneipen und Bierzelten lediglich einen kleinen Rahmen füllte, schwappt nun (meist) ungefiltert in die weltweite Öffentlichkeit. Nicht genug: Er wird von Algorithmen destilliert, konzentriert und um ein Vielfaches verstärkt zurück ins Netz gepumpt, um ein noch größeres Publikum zu vergiften. Es entsteht ein Zerrbild von Meinungen, basierend auf vermeintlichen Fakten, die aus Bequemlichkeit oder dem Wohlgefühl von Bestätigung und Zugehörigkeit nicht mehr hinterfragt werden. Wenn es so viele schreiben, muss es doch stimmen.
Dann doch lieber den Jahresrückblick „Album 2024“ im ZDF ansehen! Die Redakteure werden da schon einen realistischen Querschnitt all der Ereignisse zusammentragen. Kann doch nicht alles schlecht gewesen sein …
Zuversicht für’n Arsch! Was bleibt hängen: Ukraine-Krieg, Gaza in Trümmern, Menschen ohne Essen oder Zukunft, Trump und Musk eröffnen ihren Zirkus voller Gruselclowns, während in fast jedem Monat irgendwo die nächste Jahrhundertflut Landschaften wegschwemmt. Und dann ist Dezember, und das Jahr ist genauso zu Ende wie die Ampel, in die ich 2021 große Hoffnung setzte. Aber hey, Notre Dame steht wieder, das stimmt doch zuversichtlich!
Es kostet mich Kraft, den ganzen Irrsinn auszuhalten. Ich setze der Ohnmacht das Lesen guter Nachrichten entgegen, um diesen Rest Zuversicht nicht zu verlieren. Und da gibt es genug, man muss sie in all dem Getümmel geifernder Schreihälse, zwischen den vereinfachenden Großbuchstaben-Headlines und den Weltuntergangsprophezeiungen der YouTube-Universität nur finden. Und das wollen.
By the way: Gerade schallt Fury in the Slaughterhouse aus dem Radio mit „Don’t give up“ 🙂
Der Philosoph in der Zeit der Monster
Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.
Antonio Gramsci
Auf diese Worte des italienischen Schriftstellers, Politikers und Philosophen Antonio Gramsci wurde ich bei einer Diskussion mit Freunden aufmerksam. Gramsci wurde 1891 auf Sardinien geboren und erlebte den Ersten Weltkrieg genauso mit wie danach das Erstarken des Faschismus. Unter Mussolini verbrachte er zehn Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1937 unter größtenteils menschenunwürdigen Verhältnissen im Gefängnis. Während dieser Zeit schrieb er seine Gedanken und Theorien in den „Gefängnisheften“ nieder, die ihn dauerhaft im kollektiven Gedächtnis der Menschen verankerten.
Insbesondere obiges Zitat fasst gut zusammen, in welchem Zustand Gramsci die Welt seiner Zeit wahrnahm. Es beschreibt dieses Wanken der Gesellschaft von Phasen von Wohlergehen und Fortschritt hin zum Niedergang und der ultimativen Katastrophe. Der Philosoph starb an einem solchen Tiefpunkt der Geschichte, die er ganz treffend die Zeit der Monster nannte. Wir kennen sie alle, diese Monster.
Die Ungeheuer von heute
Und wir kennen ihre Erben. Sie führen Kriege, ganz reale mit Waffen, Gewalt und Terror, so genannte hybride Kriege, indem sie in Netzwerke eindringen und Schaden anrichten oder perfide Falschinformationen in Social Media verbreiten. Sie nutzen ihren Einfluss, der sich aus schier unbegrenzten finanziellen Mitteln von Oligarchen oder Tech-Milliardären speist, um ihre narzisstisch bedingten Allmachtsfanatsien Realität werden zu lassen. Es ist nicht reiner Wahnsinn, der sie steuert, es sind System und eiskaltes Kalkül, welche sie leiten.
Es sind nicht nur die irrlichternden Despoten, die ich allabendlich im TV fassungslos verfolge, wie sie von Katzen essenden Migranten schwafeln oder Wahlkampf mit Kettensägen machen. Nicht nur das infantil-verbohrte Trotzverhalten eines (Ex-)Finanzministers und das polemische und völlig faktenbefreite Poltern des bayerischen Ministerpräsidenten. Die Monster sitzen auch in den Gemeinderäten und Kreistagen, im Restaurant am Nachbartisch und womöglich dir gegenüber bei der Silvesterparty.
Zuversicht, bedingungslos
Einen Funken Zuversicht möchte ich in Gramscis Worten lesen. Darin liegt ein steter Wandel. Nach dem Sterben der alten Welt und dem Interregnum der Monstrositäten folgt die Geburt der neuen, der besseren Welt. Der Philosoph hat diese nicht mehr erlebt. Wir hingegen wurden in eine solche neue Welt geboren, die uns über Jahrzehnte Stabilität und Wohlstand beschert hat.
Im Angesicht der aktuellen Geschehnisse und der Irren, die die Weltbühne bevölkern, mag Zuversicht nicht genug sein. Möglicherweise ist dies wieder so eine Zeit der Monster.
Aber es gibt eine Menge Menschen, die sich der Situation bewusst sind, die begangene Fehler in der Menschheitsgeschichte nicht wiederholt sehen wollen. Auch sie sitzen an wichtigen Positionen und können etwas bewegen. Und sie sitzen ebenfalls im Restaurant neben dir und bei der Party. Wichtig ist, sie zu erkennen, sich mit ihnen zu verbünden, um das Gefühl zu stärken, nicht allein zu sein.
Zu Beginn des Jahres 2024 gab es schon einmal diese Welle der Hoffnung, als Tausende auf die Straße gingen, um dem rechten Pulk und ihren menschenverachtenden Plänen die Stirn zu bieten. Diese Stimmen müssen wieder über dem Getöse gehört werden, damit die Regentschaft der Monster nicht zu lang dauert.
Oder am besten gar nicht erst beginnt.
In diesem Sinne wünsche ich uns und allen, die dies wollen, ein friedliches neues Jahr ohne Monster, dafür umso mehr Zuversicht!