Die Letzte Generation: Ich werd bekloppt
Die sozialen Medien kochen gerade über – nicht. Wegen fragwürdiger Protestaktionen durchsucht der Staat die Wohnungen von Aktivisten der Letzten Generation, beschlagnahmt Spendengelder und weitere Vermögenswerte und stellt die Organisation unter den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung.
Die „Bekloppten“ und ich
Die Aktionen der Letzen Generation heiße ich auch nach den Razzien des gestrigen Tages nicht gut. Die mutwillige Beschädigung von Gemälden, das Beschmieren von Fenstern und Gedenkstätten sind keine Bagatellen und ebenso wenig der viel zitierte friedliche, gewaltfreie Protest. Diese Taten rütteln die Bevölkerung nicht wach, schon gar nicht die unwilligen Klimaleugner oder die Politik. Im Gegenteil: Zusammen mit den Blockaden von Straßen rücken sie das Thema der LastGen noch weiter in den Hintergrund. Die Aktivisten werden selbst zur Zielscheibe der schäumenden Wut von Autofahrern und Museumsbesuchern und verfehlen ihr anvisiertes Ziel.
Etwas anderes geht mir noch gegen den Strich: Dieser penetrante melancholische Fatalismus. Ich bin auch nicht jeden Tag gut drauf und denke dann nach den abendlichen Nachrichten: „Lass den Bus doch an die Wand fahren!“ Aber praktisch jeder Auftritt der Aktivisten suggeriert dieses von Weltschmerz geschwängerte Gefühl der Aussichtslosigkeit, auch wenn die Aktionen etwas anderes bewirken sollen. Abgerundet wird der Eindruck durch die Wahl des Namens „Letzte Generation“. Ja klar, auch ich habe trotz fortgeschrittenen Alters den warnenden Hintergedanken begriffen, aber dem Ausdruck wohnt ein apokalyptischer Gestus inne, der aus meiner Sicht die Motivation zu konstruktiven Taten ad absurdum führt und zunichtemacht. Wieso nennt man den Laden nicht „Nächste Generation“, eine Organisation, die den ganzen aktuellen Quark überholt und hinter sich lässt?
Gewaltfreiheit: gilt nicht für alle
Speiübel wird mir jedoch, wenn mir die Fernsehbilder in den Sinn kommen, die einen aufgebrachten Mann zeigen, der eine Aktivistin an den Haaren von der Straße zerrt und sich mit dieser „Gegenwehr“ noch im Recht wähnt. Oder – erst vorige Woche – ein anderer, der Fußtritte gegen auf der Straße sitzende DemonstrantInnen verteilt. Getoppt wird das vom beifälligen Gezeter anderer Autofahrer und der diffusen Ahnung, dass diese offensichtlichen Gewalttaten möglicherweise ohne Folgen bleiben.
Und nun die Razzien: Die Staatsgewalt glänzt mit auffälliger Bräsigkeit, wenn es um die Überwachung und Verfolgung rechter Organisationen geht, genauso bei der Aufklärung von Clankriminalität und der Durchleuchtung von Reichsbürgernetzwerken. Da wird jeder Paragraf lieber zehnmal herumgedreht und noch ein Gremium mit der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von organisierten Untersuchungen auf die Beine gestellt. Derweil verbreiten sich die Geflechte dieser destruktiven Machenschaften faktisch ungebremst weiter, und die Staatsorgane tappen mit juristischem Blei an den Beinen hinterher.
Dass nun nach beachtlich kurzer Zeit des Wirkens die Angehörigen einer Organisation medienwirksam auf den Marktplatz gezerrt und an den Pranger gestellt werden, die nicht weniger auf der Agenda hat, als auf die grassierende Klimakrise hinzuweisen, treibt nicht nur mir die Zornesröte ins Antlitz. Ich mag mir nicht vorstellen, wie sich ein zwanzigjähriger Student fühlen muss, der am Dienstagmorgen nichtsahnend die Wohnungstür öffnet und von einem Trupp Ermittlungsbeamter über den Haufen gerannt wird, weil er sich auf eine Straße geklebt oder einen Topf Suppe auf ein Gemälde gekippt hat. Die Fragen zur Legitimation der Beschlagnahme, der Anschuldigung und der Webseitenabschaltung stehen nicht nur bei mir Schlange.
Die Reaktionen: übersichtlich und erwartbar
Der Aufschrei in der Öffentlichkeit fällt indes bemerkenswert seicht aus (siehe Symbolbild). Doch, doch, innerhalb meiner Filterblase steppt der Bär des Protests, und die Wellen der Entrüstung schwappen auch über deren Grenzen hinaus. Ich lese Beiträge von Netz-Buddies und Kolumnisten, die sich bisher eher zurückhaltend zu ökologischen Themen und ablehnend gegenüber der Krawall- und Weltuntergangsrhetorik von FridaysForFuture, Extinction Rebellion und Letzte Generation geäußert haben, wenn sie es überhaupt getan haben.
Trotzdem überwiegt der Eindruck medialer Gleichgültigkeit. „Na und, haben die sich doch selbst eingebrockt. Wären sie mal daheim geblieben und hätten in ihre Lehrbücher geguckt, dann hätten sie was Gescheites gemacht.“ Derselbe Tenor, der rund um die freitäglichen Klimastreiks tönt. Und natürlich kichern sich die FDP- und SUV-Fanboys und -girls ins Fäustchen und freuen sich über freie Straßen, weil die Terroristen-Gretas ja erstmal vor Gericht sitzen. Alles so wie erwartet und zum Kotzen.
Die Politik: auf der Tribüne
Wäre da nicht dieser Witz von Kanzler, der sich Anfang der Woche vor eine Schulklasse stellt und die Protestaktionen der Letzten Generation „völlig bekloppt“ nennt. Kritik geht in Ordnung, aber dann bitte der Situation angemessen und mit einer respektablen Wortwahl, vor allem als Regierungsoberhaupt. Der selbsternannte „Klimakanzler“ ist so himmelschreiend unsichtbar in allen Belangen, nicht nur im Klimakontext, und laviert sich mit seinem weichgespülten Geschwurbel um jede Konfrontation herum, dass es an Arbeitsverweigerung grenzt. Er setzt damit das fort, was seine Vorgängerin sechzehn Jahre lang zelebriert hat: Wir sitzen das. Aus.
Wie wohltuend ist da die trotzige Aufbruchsstimmung, die Robert Habeck vom ersten Tag an an den Tag gelegt hat. Ja, hier klebt grüne Tapete, ist kein Geheimnis. Ich finde auch, dass der Mann nicht alles richtig macht und seine Ideen trotz rhetorischer Qualitäten einem breiten Publikum nicht nahezubringen imstande ist. Aber er benennt die Probleme und bringt Lösungen voran, die fundiert und umsetzbar sind.
Und was passiert? Die NIMBYS gehen auf die Barrikaden. Die Medien verweigern ihren Auftrag zur Aufklärung und ergehen sich in die Werbeeinnahmen förderndem Habeck-Bashing inklusive Click-Bait-Headlines. Die CDU/CSU, die die aktuelle Misere aufgrund ihrer Lahmarschigkeit in vier Legislaturperioden mitzuverantworten hat, und selbst die Koalitionspartner schmeißen dem Wirtschafts- und Klimaminister einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Speichen. Und die grünen Kollegen treten bis auf Ausnahmen eher passiv zu Tage.
Ja, warum? Am 8. Oktober ist Landtagswahl in Bayern, im Herbst 2025 ist die nächste Bundestagswahl, und die Umfragezahlen der Ampel bröseln. Es ist Wahlkampf, schon jetzt, und bis auf Habeck und die genannten Ausnahmen schielen alle bereits auf die Prozentpunkte.
Mehr, öfter, und vor allem anders
Solidarität und ein kollektiver Aufschrei sollten die Folge dieses übergriffigen staatlichen Akts sein. Noch einmal: Die Aktionen der Letzten Generation sind mehrheitlich Bullshit und bringen nicht die gewünschte Popularität, geschweige denn die katalytische Wirkung bei der breiten Masse, nämlich Aufmerksamkeit für das buchstäblich brennend heiße Klimathema und die Akzeptanz von einschneidenden Maßnahmen.
Den Masterplan habe auch ich nicht auf dem Tisch, was geeignete Aktionen angeht. Vielleicht müssen die Protestmärsche noch größer sein, regelmäßiger und an mehr Orten stattfinden. Malt wegen mir jeden Morgen ein Tempo-30-Schild auf die Straße vor den Häusern bestimmter MinisterInnen. Je-den-Mor-gen.
Was weiß ich? Ihr seid doch so kreativ!
Ich hoffe immer noch darauf, dass die Aktion des Staates (ungewollt?) der Klimabewegung nun doch noch / wieder / endlich den Schub verpasst, den sie verdammt noch mal verdient und benötigt, damit die breitere Masse den Ernst der Lage erkennt und politische Entscheidungen und die notwendigen Veränderungen mitträgt, auch wenn sie wehtun.
Ansonsten könnte der Name „Letzte Generation“ doch noch Programm werden.
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