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Bewertung, überall: im Baumarkt, in Onlineshops, in den Ergebnissen von Suchmaschinen werden wir nach unserer Zufriedenheit gefragt. Manchmal nervt es.
Ein Plausch am Nachmittag
Vor ein paar Tagen rief mich mein Mobilfunkanbieter an. Ich argwöhnte bereits eines dieser regelmäßigen Verkaufsgespräche, in dessen Verlauf ich so mürbe gequasselt werde, dass ich am Ende klein beigebe und unwesentlich mehr Leistung für wesentlich mehr Geld erhalte.
Dieses Mal überraschte mich der Servicemitarbeiter mit zwei bis drei schlichten Fragen zu meiner Zufriedenheit mit dem Produkt und dem Service. Er legte bei der fernmündlichen Übermittlung seines Anliegens keinen nennenswerten Enthusiasmus an den Tag. Der Feierabend stand schon vor der Tür. Die Fragen wurden ziemlich sicher abgelesen und nach Beantwortung abgehakt. Geschenkt. Ich schätze bei solchen Telefonaten zeiteffiziente Sachlichkeit und lehne weitschweifiges Marketinggeschwafel ab. Wir verabschiedeten uns artig voneinander und gingen unserer Wege.
Nur eine Stunde später schlug eine E-Mail meines Anbieters in meinem Postfach ein, der Betreff: „Ihre Meinung ist uns wichtig“
Das Interesse am Grad meiner Zufriedenheit ist grundsätzlich ja nicht verwerflich. Meine Kunden frage ich auch regelmäßig, ob sie mit meiner Leistung zufrieden sind. Und die Abgabe einer Bewertung auf einer Skala von 1 bis 10 dauert nicht lang. Schließlich wird die Einordnung eines komplexen Sachverhalts radikal auf ein eindimensionales dezimales System reduziert. Diese Methodik wird uns in der ersten Klasse als das buchstäbliche Maß der Dinge präsentiert, dem wir unser Streben nach Anerkennung während der Schulzeit und zum Teil darüber hinaus unterordnen. Tausendfach geübt und über alle Generationen hinweg traumwandlerisch umgesetzt findet sich die Messlatte in allen Bereichen unseres analogen und digital erweiterten Daseins wieder. Und eben auch als Abschluss eines vermeintlich bedeutungslosen Anrufs.
Zahlen lügen nicht
Gerade in der Schlichtheit des Maßstabs liegt die Gefahr. Fünf Sterne sind ebenso schnell vergeben wie ein einzelner. Die Auseinandersetzung mit dem Bewerteten rückt in den Hintergrund, der womöglich vage Eindruck wird zu einer Ziffer zusammengestutzt. Dabei wäre eine differenzierte Betrachtung wünschenswert, vonnöten, wichtig.
Für den Mobilfunkkonzern mag das zahlenbasierte System komfortabel sein. Es lässt die automatische Verarbeitung und die Betrachtung eines Durchschnittswertes genauso zu wie die Bewertung des einen Mitarbeiters, der an jenem Nachmittag seinen Fragenkatalog bei mir heruntergeleiert hat.
Ich nehme es ihm nicht übel. Call-Center-Mitarbeiter gehören für mich zu den härtesten Angestellten, gleich nach Krankenschwestern, Minenarbeitern und Asphaltierern auf hochsommerlichen Autobahnen. Tagein, tagaus arglose Kunden anzurufen, die weder Zeit noch Interesse für das Thema aufbringen möchten und dabei noch diplomatische Professionalität an den Tag zu legen – Hochleistungssport. Da darf man am Nachmittag am Telefon auch mal matt klingen.
Der Wert der Bewertung
Aber wie soll ich ein solches Gespräch bewerten? Ist die Erfüllung des Zwecks der wesentliche Aspekt, den es zu bewerten gilt? Die kurze und knackige Effizienz? Zählt es in irgendeiner Art und Weise, wie der Mitarbeiter bei mir angekommen ist? Amüsiert mich das sich audrängende Bild eines stoppelbärtigen Studenten in einer Großraumbürobox an einem Schreibtisch voller Kaffeetassen, der seinem Feierabend entgegenfiebert, oder regt es mich auf? Alles wurscht?
Sicher, Bewertungen in Zahlenform können hilfreich sein, wenn sie in großer Zahl vorliegen und einen Gesamteindruck vom Wert einer Sache vermitteln. Noch besser wird es, wenn abgrenzbare Eigenschaften mit separaten Skalen aufwarten. Denn was nutzt mir eine „8 von 10“ beispielsweise bei einem Auto, wenn ich daraus dessen Größe nicht ablesen kann und mein Schlagzeug ums Verrecken nicht in den Kofferraum passt?
Richtig schick sind Rezensionen, die sich detailliert mit den Eigenschaften von Produkten oder der Qualität einer Leistung auseinandersetzen. Über die Jahre entwickelt man auch ein Gespür dafür, ob eine Rezension etwas taugt oder nicht. Allerdings kann man sich darin schnell verlieren. Ich neige leider zu rascher Verunsicherung, wenn unter zwanzig positiven Bewertungen eine ist, die fundiert einen vermeintlichen Mangel herausstellt. Dann sortiere ich schon mal verfrüht aus. Es könnte ja noch was Besseres geben.
Bewertung for sale
Und dann beschleicht mich auf vielen Plattformen das ungute Gefühl, dass die eine oder andere Bewertung gekauft ist. Das kommerzielle Hypen von Produkten ist im Gegensatz zu ungerechtfertigter Kritik zwar nicht grundsätzlich strafbar, allerdings verzerrt es den Blick auf eine objektive Bewertung und degradiert das Bewertungssystem an sich. Ist das Misstrauen erst einmal da, bewegt sich der Interessierte nur noch mit Vorsicht durchs Internet.
Allzu euphorische Lobeshymnen überlese ich ebenso wie themenfremde Kritiken à la „die Verpackung hatte die falsche Farbe“, „die Lieferung dauerte zu lang“ oder „der Postbote hat nicht gelächelt“. Nebenbei: Unsere Postboten sind immer freundlich, was ich ihnen hoch anrechne, weil sie auf oben genannter Jobhitliste auch ganz oben rangieren. Aber ich schweife mal wieder ab.
Lass dich nicht fertigmachen
Man kann auch selbst zur Zielscheibe werden. Dazu bedarf es nur irgendeiner für andere zugänglichen Präsenz im Internet. Sei es als registrierter Benutzer einer Social Media Plattform oder – wie bei mir – als Dienstleister. Da tauchte auf meinem Unternehmensprofil bei Google aus dem Nichts vor zwei Jahren eine Bewertung mit nur einem Stern auf. Sie enthielt keinen Text und stammte von einem mir völlig unbekannten Nutzer. Der User hat bis heute mit diesem Google-Profil nur diese eine Bewertung abgegeben. So liegt der Verdacht nahe, dass der Account nur zu diesem Zweck angelegt und genutzt wurde. Mehrfache Versuche, die Rezension durch Google löschen zu lassen, schmetterte der Konzern mit der Begründung ab, die Bewertung verstoße nicht gegen die Richtlinien.
Für mich fühlte sich das damals an, als hätte mir ein Fremder im Vorbeigehen ohne Vorwarnung eine gescheuert, ohne mir einen Grund zu nennen, um dann unerkannt in der Menge zu verschwinden.
Nach juristischer Lesart unterliegt die Vergabe einer solchen Bewertung der freien Meinungsäußerung, auch wenn sie unter den geschilderten Umständen feige ist. Für mich bedeutet sie eine ungerechtfertigte Herabwürdigung meiner unternehmerischen Tätigkeit und Diskreditierung der Qualität, die ich versuche meinen Kunden zu bieten. Wer, wie oben geschildert, Rezensionen aufmerksam liest, wird diese Fake-Bewertung ignorieren. Die übrigen positiven Bewertungen überwiegen ohnehin. Nach Jahren im bescheidenen Licht der Öffentlichkeit als Autor und Selbständiger lässt mich das ruhig schlafen.
Wozu sich anstrengen?
Die Meinung anderer ist uns als Mensch schon immer wichtig gewesen. Die Resultate unseres Tuns bedürfen eines Feedbacks von unseren Artgenossen, damit wir einschätzen können, ob unser Werkeln richtig oder falsch läuft.
Mehr noch benötigen wir Lob, Anerkennung und Respekt, um unseren Anstrengungen einen Sinn zu verleihen. Nur so mündet die Kette von Aktion und Reaktion in der Motivation, weiterzumachen und besser zu werden. Würde unser Schaffen kommentarlos von allen anderen hingenommen, ist der Schritt in die Lethargie nur ein kleiner. Wozu sich anstrengen?
Das ist der Grund, weshalb ich mich aktuell dem Feedback meiner Leser in einer Leserunde bei LovelyBooks stelle. Rückmeldungen von Freunden und Bekannten zu meinem Roman „Der Glanz des Rosenkäfers“ sind mir ungemein wichtig und bestärken mich darin, weiterhin Romane zu schreiben. Das ungeschönte Feedback fremder kritischer Leser kommt nun hinzu.
Das Internet und insbesondere Social Media wirken in den vergangenen Jahren wie ein Verstärker für unser Streben nach Anerkennung. Einserseits wird es uns leicht gemacht, unsere Tätigkeiten und uns selbst adäquat einem Kreis von Personen zu präsentieren, der uns zugetan ist. Darüber hinaus schafft es uns die Möglichkeit, diesen Kreis auf vorher unmögliche Art und Weise in unschätzbare Größen auszudehnen. Das ist für Freischaffende wie für Unternehmen von nicht mehr zu vernachlässigender Bedeutung.
Auf der anderen Seite birgt die Gelegenheit zur Selbstdarstellung die Gefahr der Selbstüberhöhung und verzerrten Selbstwahrnehmung. Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Social Media und Depressionen nachwiesen. Unter anderem rückte Instagram in den Fokus, das besonders jungen Menschen eine perfekte Scheinwelt in Bildern suggeriert, der es nachzueifern lohnt. Noch schlimmer: Die Plattform bzw. die Bilder darauf führten laut Autoren des Wall Street Journal bei jedem dritten Mädchen im Teenageralter zu einem schlechteren Körperbild von sich selbst. „Sechs Prozent der US-Nutzer hätten aufgrund der Plattform sogar schon einmal Suizidgedanken gehegt.“ Ohne Worte.
„Du bist es wert“
Mir fällt dazu das Video von Kate Winslet ein, das im Rahmen der Kampagne eines bekannten Kosmetikkonzerns veröffentlicht wurde. Ich will nichts dazu verraten, seht es euch am besten selbst an.
Anerkennung und Lob sind wichtig für unser Selbstverständnis. Es bedarf aber der Fähigkeit zur objektiven Einschätzung seiner selbst und der Rückmeldungen unserer Mitmenschen, um den Halt nicht zu verlieren. Umsichtige Eltern und Verwandte, aufrichtige Freunde können eine solide Stütze sein, so dass die heilige Welt der schönen Medien und all der Likes und Herzchen das bleibt, was sie ist: eine Scheinwelt.
Be yourself. Hugs.