
Liebe, Frieden, Respekt und so
Das Jahr neigt sich dem wohlverdienten Ende zu, im christlichen Abendland geprägt von den Werten des Weihnachtsfestes: Besinnung, Nächstenliebe, Familie, Rücksichtnahme, Dankbarkeit. Ob wir dieses Fest im Sinne Jesu und der Kirche begehen oder nicht, wir lassen uns in allen Lebenslagen gern ausbremsen und verschieben nicht mehr Geschafftes auf das nächste Jahr.
Zwischen Süßkram, Gans, Lichterglanz und Besinnlichkeit bleibt die eine oder andere Minute zur Rückbesinnung, bietet dieser menschengemachte Break1) zum Jahreswechsel Zeit zum Innehalten: Was war das für ein Jahr, für mich selbst, mein näheres Umfeld und die ganze Welt?
Ja, aber …
Neben den persönlichen Schicksalsschlägen, die mich dieses Jahr mit aller Wucht getroffen haben, nehme ich trotzdem noch wahr, was um mich herum passiert ist. Gespräche mit Freunden und Bekannten fördern eine allgemeine Stimmung zutage, die mich nachdenklich macht: Obwohl es uns hier in Deutschland im Allgemeinen sehr gut geht, wabert der Geist der Unzufriedenheit durch die Straßen wie der Feinstaub der Böller am Neujahrsmorgen. Nicht falsch verstehen: Viele meiner Mitmenschen sind durchweg happy, können die Beschreibung ihrer Situation jedoch nicht ohne einen Nebensatz beenden, der mit „aber“ beginnt.
Dabei möchte ich ihnen nicht einmal widersprechen: Auch ich kann mich des ein oder anderen Seufzers nicht erwehren im Angesicht der Geschehnisse: weiterhin Kriege, wohin man blickt, das Erstarken von Autokraten nicht nur bei Großmächten, sondern auch bei so genannten Demokratien mitten in Europa, rechtes Gedankengut, unverhohlen geäußert im Internet und auf der Straße, bis hin zu körperlicher Gewalt gegen Andersdenkende und Randgruppen. Dazu kommt die lahme Politik, in der es augenscheinlich nicht um die Interessen der sie wählenden Menschen geht, vielmehr um Postengeschacher und Machterhalt. Die Welt steuert – wahrscheinlich, weil wissenschaftlich belegt und auch widerlegt – dem Klimakollaps entgegen.
Meine Meinungsmache
In diesem letzten Widerspruch klingt das ganze Dilemma des Jetzt durch: Wir wissen nicht mehr, wem oder was wir Glauben schenken dürfen. Ich mag es hier fast nicht mehr wiederholen: Sich selbst im Internet eine objektive Meinung zu bilden, ist schier unmöglich geworden, vor allem wenn man nicht standhaft bleibt und nicht nur seine eigene Meinung bestätigt sehen möchte. Die vielzitierte Wirkung der Filterblase ist dabei nur ein Aspekt, den namhafte Kolumnisten wie Sascha Lobo bereits wieder kritisch hinterfragen. Liest sich der eine Artikel wie die unumstößliche Wahrheit, kommt ein anderer daher und bringt die Überzeugung ins Wanken. Die dargebotenen Fakten beider Seiten bekommen Risse und Brüche und lassen den Leser verunsichert zurück. Im analogen Leben stellen sich viele kaum noch dem Diskurs, sondern klopfen dem Gleich- oder wenigstens ähnlich Gesinnten zustimmend auf die Schulter, Wohlfühlen garantiert.
Was dabei verlorengeht: Respekt dem Andersdenkenden gegenüber. Es wird nicht mehr zugehört, über Gesagtes nicht nachgedacht, Gegenargumente niedergepoltert und der sie Äußernde verunglimpft – du kannst gern deine Meinung haben, sofern es meine ist.
Weil es so bequem ist
Und noch etwas geht verloren: der Wille zur Veränderung. Solange wir uns von den „Fakten“ so unterschiedlicher Quellen verunsichern lassen, weil wir deren Glaubwürdigkeit gar nicht einschätzen können, und uns der Einfachheit halber von denen überzeugen lassen, deren Aussagen uns eher liegen, werden wir unseren Arsch auch nicht hochkriegen und wirklich etwas an unseren Verhaltensweisen ändern.
Man kann die Welt oder sich selbst ändern. Das Zweite ist schwieriger.
– Mark Twain
Im Großen sind ähnliche Verhaltensweisen zu beobachten, wie jüngst beim Klimagipfel in Katowice mit halbgaren Absichtserklärungen, deren Erreichen selbst noch stark angezweifelt werden darf. Jüngst hat in dem Zusammenhang ein Wissenschaftler folgende Metapher für den Verlauf der Verhandlungen und deren Ergebnissen gebraucht: Die Weltgemeinschaft benimmt sich wie ein Übergewichtiger, der dringend abspecken und damit am besten sofort beginnen müsste, indem er täglich einen Marathonlauf absolviert, sich stattdessen aber auf seine Couch fläzt und erst einmal bei Chips und Bier fernsieht. Dieses Sinnbild passt praktisch kongruent auf viele Abläufe unseres täglichen Handelns:
- gesünderes Einkaufen und Essen – wer beweist denn, dass dieses und jenes gesünder ist? Und teurer ist es auch noch!
- nachhaltiger Umgang mit Konsumgütern und damit den Ressourcen – solange es die anderen nicht tun …
- mehr Sport – morgen fange ich an …
- Rücksichtnahme auf andere – aber er/sie hat angefangen!
Die Liste ließe sich fortsetzen.
So what?
Der Appell dieses Texts beinhaltet die schlichte Botschaft: Tut Vernünftiges im Rahmen eurer Möglichkeiten, und das nicht nur an Weihnachten. Es ist nicht schwer, auf Unnötiges zu verzichten und das Nötige vom Unnötigen zu unterscheiden. Es ist erwiesen, dass der Kauf von Dingen um des Kaufens willen nicht nachhaltig glücklich macht.
Genauso einfach ist es, anderen Menschen – das ganze Jahr über – mit einem Mindestmaß an Anstand zu begegnen, egal ob im realen Leben oder im Netz. Eine wohlformulierte E-Mail ist da noch das Geringste, aber reißt euch bitte zusammen in den sozialen Medien.
In diesem Sinne: Liebe, Frieden, Respekt und so.
1) Ja, dem Planeten Erde ist es seit ein paar Milliarden Jahren wumpe, dass wir seine Sonnenumrundungen durchnummerieren, dazu noch in allen Regionen seiner Oberfläche unterschiedlich: Liste der Kalendersysteme